traumfrau

Am benannten Haus in der Nacht angekommen, sehe ich in einem Hinterhof in der Dunkelheit zwei ältere Männer auf einer Campinggarnitur sitzen, in der einen Hand die Flasche Bier, in der anderen qualmen Zigaretten. Die Stimmung scheint etwas gedrückt und man nimmt mich und meinen Gehilfen kaum zur Kenntnis. Da hinten sei es, weist man mir die Wohnungstür.

Auf einer schäbigen Bettcouch in einer Zimmerecke liegt eine Frau.

Ein Paar in den sogenannten besten Jahren, also in den Jahren, in denen die guten schon vorbei sind und die schlechten vermeintlich noch Zeit haben, dieses Paar also hat es sich angewöhnt, das Wochenende gemeinsam mit Sport vor dem Fernseher zu verbringen. Man schaut gemeinsam die abendliche Sportsendung und trinkt dazu 6 bis 8 Flaschen Bier, pro Person, versteht sich und natürliche richtige Flaschen, keine Fläschchen, klar, oder? Früher habe die Partnerin ja „gesoffen wie ein Loch“, aber nun gehe das, so am Wochenende. Im Verlauf dieses liebgewordenen Rituals überkommt es die Gefährtin gelegentlich, dann müsse das Getrunkene spontan wieder ans Tageslicht. Sie sei dann immer auch etwas weg vom Fenster, aber nach einer guten halben Stunde gebe sich das, dann sei sie wieder voll da – gewiß – und der weiteren Abendgestaltung stehe nichts im Wege.

Heute sei das genauso gewesen, so wie immer, ja, wer bitte schön soll denn ahnen, dass es am heutigen Tag eine nicht unwesentliche Variation geben würde. Ja, ihr ist dann halt wieder mal schlecht geworden, so wie immer, sie hat angefangen „zu kotzen“, da hat er ihr schnell noch einen Eimer aus dem Badezimmer geholt und untergeschoben, wie sie da vor der Fernsehcouch kniete. Hätte er ja nicht machen müssen, aber man ist ja schließlich füreinander da, oder?

Die Couch ist ein billiger, abgeschabter Zweisitzer aus Kunstleder, schwarz, , da hat sie ihren Kopf auf einer der Sitzflächen abgestützt, den Eimer unter sich. Dann war erst mal Ruhe, „ausgekotzt“, wie er bemerkt. Er hat ja direkt daneben gesessen, Zigarette, Pils im Anschlag. Hat irgendwo hingeguckt, in den Fernseher. Man hat ja immer so dagesessen, geraucht, getrunken, geguckt, bis die Sendung vorbei war. Fußball, und was dann noch so kommt, am Samstag, im Fernsehen. Sonst gibt es hier ja nicht viel zu gucken, eiche rustikal, in die Jahre gekommen, verschlissene Decken und Vorhänge, Plunder, Kitsch, volle Aschenbecher, ein paar Werbeblättchen liegen herum, Post. Eklig – brauner PVC Boden. Ob ihm was durch den Kopf gegangen ist, die Frau so neben sich? Man ist nun schon „tolle 14 Jahre“ zusammen, sie ist seine „erste und große Liebe“, die „Liebe seines Lebens“, die Frau, die so viel älter aussieht, als sie mit ihren 60 Jahren ist, eine vergilbte, zerknitterte Frau mit pechschwarzen Haaren, ihrer Farbe seit jeher. Sie ist ja noch so jung, wird er gedacht haben, gerade mal 60, das ist ja kein Alter. Rechts von ihm kniet sie, direkt neben seinen Knien, während er stumm vor sich hinguckt. Sie ist ganz ruhig, so wie immer, wenn alles raus ist, was raus mußte. Sie erholt sich dann. Das Säuerliche auf ihrem Strickpullover riecht er schon nicht mehr, das ist ein Geruch, der zum Raum gehört. Er stupst sie an, geht ihr durch’s Haar. „He, alles klar?“, sie rührt sich nicht, gibt keine Antwort. Dann halt nicht, kommt schon. Ein paar Schlucke weiter aus der Flasche ist es still geblieben, er ist so alleine auf seiner Couch, mit der Frau seines Lebens auf den Knien neben ihm. Die Traumfrau, die nicht besonders gut riecht, auch wenn das hier keine Rolle spielt und überhaupt, nach ein paar Bier riecht man ohnehin nicht mehr so gut. Vor allem die Frau nicht. Die ist tot.

„Nicht zu fassen“, sagt er zwischen zwei Schlucken zu seinem Nachbarn, inhaliert tief, „nicht zu fassen, die ist doch sonst immer nur kurz weggewesen, und jetzt so was, nicht zu fassen“.